Ist der Feminismus eine sentimental verklärte Erinnerung älterer Frauen oder ist die Zukunft weiblich?
„Trotz all der Herausforderungen, denen wir uns gegenübersehen, bin ich überzeugt, dass – ja! – die Zukunft weiblich ist“, sagte Hillary Clinton in einem Video, mit dem sie sich an die Teilnehmerinnen der Makers-Konferenz richtete (https://ql.mediasilo.com/#ql/5896f07ee4b0116e70719a09/1b402a47-5fc0-47b5-82b5-d19cb2767278). Das Treffen führender Frauen aus Politik, Wirtschaft und Unterhaltung findet einmal jährlich in Kalifornien statt. In ihrem ersten öffentlichen Statement nach der Einführung des neuen US-Präsidenten gab sich Clinton feministisch. Frauen müssen mutig sein und gläserne Decken durchbrechen, lautete ihr Appell. Beim „Marsch der Frauen“ hatten im Januar Millionen Menschen in den USA und weltweit gegen die Diskriminierung demonstriert. Dabei sei eine „unglaubliche Energie“ sichtbar geworden. Mehr als je zuvor müssten Frauen nun das diesjährige Motto der Makers-Konferenz beherzigen: „Be bold“. „Wir brauchen starke Frauen, die aufstehen und ihre Stimme erheben“, so Clinton. Sie forderte die Teilnehmerinnen auf, ein Beispiel zu sein als diejenigen, die in Zukunft Geschichte schreiben und die gläserne Decke durchbrechen werden. „Zweifelt niemals, dass ihr wertvoll und machtvoll seid und jede Chance und Möglichkeit in der Welt verdient“, bestärkte sie die Frauen.
Hillary Clintons Botschaft wirft Fragen auf. Ich deute ihre Message aus meiner persönlichen Sicht, die, das sei betont, keinen allgemeingültigen Anspruch erhebt. Was soll ich von dem Statement einer bekennenden Feministin halten, die es bis nach oben geschafft hat auf der Karriereleiter, die erst durch die gläserne Decke vor dem Schritt zur mächtigsten Position der Welt, der US-Präsidentschaft, gestoppt wurde? Sicher, die Frauen sind im Januar auf die Straße gegangen gegen einen sexistischen Präsidenten. Und dennoch wurde dieser Mann auch von Frauen gewählt. Mit ihm ist einmal mehr ein Mann an der Macht, dessen Frauenbild im besten Fall als grotesk bezeichnet werden kann.
Und: Wendet sich die Aufforderung, aufzustehen und in die Welt zu ziehen, die Welt nicht an die Männer zu verlieren, vor allem an die junge Frauengeneration oder auch an die Generation zu der Frauen wie Clinton gehören, die sich als Feministin definieren? Weshalb wird Mutterschaft dann immer noch zur Karrierefalle? Warum sind alleinerziehende Mütter dann häufig überfordert und unterbezahlt? Wie kommt es, dass die zunehmende Altersarmut in erster Linie Frauen trifft? Wieso ist die Hälfte der Bevölkerung zwar weiblich, das weltweite Vermögen aber nicht einmal annähernd zur Hälfte in weiblichem Besitz?
Das Zeitalter der Frau wurde von Feministinnen und Soziologen in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder beschworen. Die Realität sieht bekanntermaßen anders aus. Selbst wenn Frauen die gläserne Decke der Karriere durchbrechen, sind sie beim Gehalt von der Gleichstellung weit entfernt. Einflussreiche Frauen aus Politik und Wirtschaft setzen sich kaum ein für ihre Geschlechtsgenossinnen. Sie ziehen sich zurück in Kanzlerbüros und Vorstandsetagen. Sie schließen die Tür hinter sich, um, wie ich vermute, die Gebrauchsanweisung „Manage die Welt wie ein Mann“ auswendig zu lernen. Pech gehabt, ihr lieben Geschlechtsschwestern, wenn ihr nicht bereit seid, das Spiel der World Leader zu spielen. Den Beweis, ob sie die Tür zum so begehrten Oval Office vor allem für Frauen weit offen lassen würde, bleibt die einstige First Lady nun ja leider schuldig.
Sind Frauen tatsächlich solidarisch, im Beruf wie im Privatleben? Gerade die ältere Generation ist den Jüngeren die Unterstützung schuldig, das Ziel erreichen zu können, das die Frauenbewegung von ihren Anfängen im 18. Jahrhundert an verfolgte: die Gleichstellung von Frau und Mann. Vorbilder, wie Clinton sie in den Teilnehmerinnen der Makers-Konferenz sieht, sind unverzichtbar. Die sollten sich jedoch nicht auf die Girls Networks beschränken. Letztlich ist jede Mutter Mentorin, jede Tante und Großmutter. Die Zukunft der Frau beginnt in der kleinsten Keimzelle überhaupt, der Familie. Dort entsteht das nötige Selbstbewusstsein, zu fordern, was Frauen zusteht. Ergo bedeutet „die Zukunft ist weiblich“ einerseits das in den letzten Jahrhunderten erreichte weiter auszubauen. Und das, liebe Hillary Clinton, wird nach Ihrer Wahlniederlage nicht mit dem „Marsch der Frauen“ erledigt sein, sondern allenfalls einen Anfang markieren: Die junge Generation hat die Notwendigkeit erkannt zu kämpfen, anstatt müde über die alten Feministinnen zu lächeln. Gleichstellung ist kein überholtes weil längst erreichtes Ziel. Es steht ganz oben auf der Tagesordnung als ein wichtiges „To-do“. Die Gefahr der Rückschritte vom Status quo ist groß.
Meine aktuelle Schreibstimmung: Tief durchatmen.
Der Lippenstift: „Jana’s Red Wine“ von L.O.V.
Last modified: 17. Februar 2017