Soll ich mir eine Literaturverfilmung anschauen oder es bei der Buchlektüre belassen?
Es ist eine ebenso individuelle wie grundsätzliche Frage, ob man ein Buch zum Film lesen oder den Film zum Buch sehen mag. Sicher ist, Geschriebenes und auf die Leinwand Projiziertes ist niemals komplett identisch. Die Geschichten unterscheiden sich bisweilen sogar deutlich, wenn dem Spannungsbogen eines Filmes zuliebe Szenen verändert oder hinzugefügt oder Figuren in die Story eingebaut werden, die in der Literaturvorlage gar nicht vorkommen. Folglich bereiten selten beide Werke das gleiche Vergnügen beim Lesen wie beim Sehen.
Frühere Erfahrungen lehrten mich, darauf zu verzichten, Bücher zu kaufen, deren Geschichte ich bereits aus der Verfilmung kenne. Die Enttäuschung ist vorprogrammiert, die erspare ich mir. Der alternative Weg, also zuerst das Buch und dann der Film zum Buch, funktioniert zumindest manchmal, etwa bei Marlen Haushofers Roman Die Wand (List Verlag) mit Martina Gedeck in der Hauptrolle des gleichnamigen Kinofilms oder im mindestens so verstörenden Werk Alles, was wir geben mussten (Heyne Verlag) des Literaturnobelpreisträgers Kazuo Ishiguro.
Um nicht enttäuscht zu werden, verzichte ich aber meist darauf, „meine“ Figuren von Drehbuchschreibern und Regisseuren zerstören zu lassen. Denn das ist das schönste am Lesen: Die Figuren nehmen in der Fantasie des Lesers Gestalt an, werden uns so vertraut, dass es bisweilen schwerfällt, sie am Ende der Lektüre zu verlassen. Diese Fantasie kann ein Film nur bedingt befriedigen, Ausnahmen bestätigen diese Aussage, siehe Beispiele oben.
Wenn am 3. Januar 2019 also „Die Frau des Nobelpreisträgers“ im Kino anläuft, werde ich entscheiden müssen, ob ich den Film sehen will. Auch wenn mit Glenn Close eine meiner Lieblingsschaupielerinnen die Titelrolle spielt, bin ich unsicher, ob ich ins Kino gehen soll. Vor zwei Jahren las ich die Romanvorlage von Meg Wolitzer und schrieb dazu auf Mein blauer Lippenstift: Obgleich eine fiktive Geschichte, finden sich in Die Ehefrau zahlreiche Momente, die mich innehalten ließen, die keineswegs erfunden scheinen, sondern von der Beobachtungsgabe der Autorin zeugen. Ich hatte mich mit Joan, der Frau des Preisträgers, verschwistert und lehnte den narzisstischen Joe Castleman von ganzem Herzen ab. Bis Anfang Januar werde ich die Frage klären müssen, ob ich Karten fürs Kino reserviere oder lieber das Buch ein zweites Mal lese.
Last modified: 30. Dezember 2018