Kann man schreiben, ohne nachzudenken?
Seit ich mich entschloss, nicht mehr länger Journalistin sein zu wollen und meinen Traum aus jungen Jahren wieder aus der Versenkung holte, um als freie Autorin zu schreiben, wonach mir der Sinn steht, las ich mich durch etwa einen halben Regalmeter Fachbücher über Kreatives Schreiben. Die bisweilen vertretene Meinung, journalistisches Arbeiten sei kreativ, teile ich nicht. Sosehr ich es liebte, Journalistin zu sein, empfand ich meine Tätigkeit eher als Handwerk, das man solide und nach erlernten Kriterien ausübt. Auch wenn ich meist gerne schrieb, kam es nie infrage, einfach aus Spaß einen Text zu fabrizieren, der sowieso nie eine Chance auf Veröffentlichung erhalten würde.
Meine Situation ist inzwischen eine völlig andere, aber die Journalistin konnte sich bislang kaum von mir trennen. Will sagen, ich vertraute auf meine erprobte Arbeitsweise, Texte nicht mit der Hand zu notieren, sondern sie direkt in den Computer zu tippen. Die Technik klappte quasi auf Knopfdruck: Hände auf die Tastatur, durchatmen und zu schreiben beginnen. Ich stellte mir vor, auf diese Weise künftig Geschichten zu produzieren. Was sich als Trugschluss erwies. Anstatt einen Text zu schreiben, wanderte ich durchs Internet, checkte Mails, vertrödelte Zeit. Es fiel mir nichts Brauchbares ein, der Kopf blieb erschreckend leer.
In den Ratgebern las ich über die Methode des „Écriture automatique“, des automatischen Schreibens. Stift und Papier statt Tastatur und Screen sollten mich zur Kreativität bringen? Ich wollte Geschichten schreiben, keine Tagebuchaufzeichnungen, dachte ich mit einiger Überheblichkeit. Wäre ich weniger voreingenommen gewesen und hätte auf den Rat erfahrener Schreibdozentinnen gehört, wäre mir das Überraschungsmoment im kürzlich besuchten Autorencamp erspart geblieben. Schreiben mit der Hand in ein Notizheft, hieß die Anweisung. „Was im Kopf ist, kommt aufs Papier“ und „Erst schreiben, dann denken“, lauteten unsere Mantras. Ich konnte meine Schrift später beim Vorlesen zwar kaum entziffern, doch es funktionierte tatsächlich. Keine Blockade, kein Grübeln, schon gar keine Verzweiflung: Ich schrieb, selbst wenn das Handgelenk nach einigen Minuten aufgrund der ungewohnten Bewegung aufjaulte. Das Notebook stand eine Etage höher in meinem Zimmer, wo es während der Tage im Camp blieb und auch heute ist es in meiner täglichen Warmschreibphase ausgeschaltet.
Natalie Goldberg, Julia Cameron, Doris Dörrie, Milena Moser: Ich leiste hiermit Abbitte. Ihr hattet natürlich alle recht: Écriture automatique ist die effektivste Technik, um die Zensur des Ich zu überlisten und zu Papier zu bringen, was immer mich in diesem Moment bewegt.
Last modified: 2. Dezember 2019