Ich brauche eine Pause von der Pandemie.
Je mehr die verbalen Drohgebärden der Politikverantwortlichen in Deutschland zunehmen, desto dringender wird mein Wunsch, nicht mehr zuhören oder lesen zu müssen, was uns Bürger zur Obrigkeitshörigkeit bringen soll. Der Regierungssprecher betonte kürzlich, niemand in der Bundesregierung wolle Panik verbreiten. Da irrt er sich. Wenn die Herrschaften selbst hörten, was sie reden, würden auch sie erschrecken.
Die Flut von Vorschriften, Verordnungen und Verboten wird in einer Weise kommuniziert, als seien wir Bürger eine Horde ungezogener Kinder, die man nur noch durch Androhung von Strafe zur Räson bringen kann. In den Monaten der Pandemie beklagte ich mich schon mehrfach über die absolut mangelhafte Fähigkeit deutscher Politiker zur angemessenen Kommunikation. Gerade in diesen Wochen, da das Infektionsgeschehen erneut rasant Fahrt aufnimmt, stelle ich einmal mehr fest, dass ich mich wie ein unmündiges Kind fühle, wenn ich Statements und Appelle lese. Mein Verstand reicht durchaus, Erklärungen und Zusammenhänge zu verstehen. Drohungen sind gänzlich überflüssig.
Mit ernster Pädagogenmiene vorgetragene Katastrophenszenarien und politische Führung mittels erhobenen Zeigefingers führen bei mir zu Trotz. Ich weigere mich, weitere Informationen zur Kenntnis zu nehmen, ziehe die Decke über den Kopf, tauche ab. Zumindest zeitweise, wenn ich wieder mal das Gefühl habe, es reicht. Wie heute beispielsweise. Während meiner Kindheit und frühen Jugend las ich mit Taschenlampenbeleuchtung unter der Bettdecke, wenn es eigentlich längst Schlafenszeit war. Sobald meine Eltern ins Wohnzimmer zurückgekehrt waren, verzog ich mich unter die Decke, knipste die Lampe an und versank in einer unbekannten Welt, weit weg von meiner Umgebung, dem Zimmer und der Wohnung.
„Eine Robinsonade und Coming-of-Age Geschichte, in der das Mädchen Jinny erfährt, ihrer inneren Stimme zu vertrauen, Verantwortung zu übernehmen und auch die Grenzen des eigenen Wollens zu spüren bekommt“, lautet der Pressetext zu Laurel Snyders Buch (geeignet für Leserinnen von 12–15).
Meine imaginäre Bettdecke, unter der weder die Pandemie noch die Politik Platz finden, wird heute Nachmittag das Sofa sein. Dort bin ich für ein paar wertvolle Stunden ein Kind, das zusammen mit Jinny auf einer Insel lebt.
Insel der Waisen, Laurel Snyder, Mixtvision Verlag
Last modified: 24. Oktober 2020