Wir alle haben die Wahl am 26. September

Die Bundestagswahl 2021 ist eine Bewährungsprobe für die Politik und den Sozialstaat Deutschland.

Ein „Weiter so“ beim seit Jahrzehnten prognostizierten Pflegenotstand hätten wir Bürger der Bundesregierung schon lange nicht mehr gestatten dürfen. Doch wir ließen uns von wohlgesetzten Worten während der Wahlkämpfe blenden und glaubten Absichtserklärungen, die sich als nicht ernst gemeinter Köder entpuppten. Fakt ist, um den Krankenpflegeberuf aufzuwerten, wie er es verdient, wurde kaum etwas getan. Stattdessen ist die Bezahlung weiterhin beschämend niedrig, der Personalschlüssel wurde kontinuierlich schlechter, die Arbeitsbedingungen unzumutbar.
Die Pandemie bewirkt nun, dass man auch ohne die Not im Wahlkampf eine gute will sagen sozial ausgerichtete Politikerfigur machen zu wollen auf die Pflegekräfte schaut. Die meiner Meinung nach längst nicht laut genug um Hilfe schreien oder gar streiken, sich weigern, weiterhin ausgebeutet zu werden. Plötzlich sind alle Augen auf die Intensivstationen gerichtet. Dort fehlt es nicht an Betten oder an medizinischem Gerät, sondern an qualifiziertem Personal, ohne das ein Beatmungsgerät nur eine wertlose Maschine ist. Scheint so, als habe man bisher nicht gewusst, dass auch vor Covid-19 täglich um das Leben Schwerstkranker gekämpft wurde. Und, auch das muss einmal deutlich gesagt werden, nicht nur auf Intensivstationen engagieren sich examinierte Pflegerinnen und Pfleger physisch wie psychisch zum Wohl der ihnen anvertrauten Menschen. Das gilt genauso für die Onkologie oder für die Abteilung für Brandverletzte, um nur zwei Beispiele zu nennen für Arbeitsorte, an denen der Einsatz nicht minder hart ist. Dieses Urteil erlaube ich mir im Übrigen keineswegs aus der Beobachterrolle der Journalistin, sondern als eine, die vor langer Zeit ein Pflegeexamen ablegte und mehrere Jahre in einer Notfallambulanz arbeitete.
Am 26. September stehen wir alle vor der Wahl: Welche Partei wird es schaffen, ein Programm vorzulegen, das dem Krankenpflegeberuf das ihm angemessene Image zu verleihen vermag? Ein Sparkassenkaufmann bezieht ein Gehalt für die Verantwortung, Geld zu verwahren. Solange es weniger wert ist, Menschenleben zu retten, ist es schlecht bestellt um die Soft Skills unserer Gesellschaft. Die Zeit des Klatschens ist jedenfalls vorbei.

https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/sw/pflegenotstand?s=&p=1&n=1&nid=123219

Last modified: 24. April 2021