Uns fehlt das „Make love, not war“ Lebensgefühl.
Vor ein paar Tagen haben wir einen zwanzig Jahre alten Film auf Netflix geschaut. Den Inhalt der schrägen Komödie vergaß ich gleich wieder, doch den Abspannsong bekomme ich seitdem nicht mehr aus dem Kopf. Er entstand Anfang der siebziger Jahre, während der Endphase der Hippiebewegung. Ich war zu jung, um ein echter Hippie zu sein, was mich aber natürlich nicht abhielt, meinen Eltern die Erlaubnis abzuringen, Schlaghosen, wallende Batikkleider und Lederstiefel mit Fransen tragen zu dürfen. Meine Schulutensilien schleppte ich in gehäkelten Taschen oder in groben Baumwollsäcken mit mir herum, die Musikkassetten waren voll mit der Musik der sogenannten Blumenkinder. Auch wenn ich nicht wirklich wusste, welche gesellschaftliche und politische Philosophie die Bewegung definierte, fand ich die Hippies unglaublich cool. Ihre Lebenseinstellung wirkte so relaxt oder gechillt, wie man es heute nennen würde, zumal im konservativen Deutschland und in meiner ebensolchen Familie.
Fünfzig Jahre später stehen Themen der Hippie-Subkultur wie Antirassismus, Frieden und Umweltschutz ganz oben auf der Agenda der unerledigten Aufgaben der Weltgemeinschaft. Und seit Beginn der Pandemie wird uns schmerzlich bewusst, wie zunehmender Hass in den sozialen Medien die Gesellschaft vergiftet. Einen Blumenkranz werde ich mir nicht um den Kopf schlingen. Ich sehne mich auch nicht danach, einen Bulli zu fahren. Über einen Traumfänger im Schlafzimmer ließe sich reden. Seit ich den Song im Ohr habe, wird mir jedoch zunehmend klar, was mir tatsächlich fehlt: Wir haben es verlernt, das Leben wenigstens ab und an leicht und spielerisch zu nehmen.
Last modified: 15. September 2021