Wie die Lemminge

von Selbstmarketing / Selbst-PR

Mein neues Auto ist da. Seit Wochen warte ich darauf, schon seit Jahren denke ich darüber nach, den mir zwar ans Herz gewachsenen, aber in die Jahre gekommenen Wagen gegen einen neuen einzutauschen. Die Entscheidung fiel schwer, wurde immer wieder vertagt, weil wichtigere Anschaffungen anstanden. Schließlich ist es nur ein Fortbewegungsmittel, das mich bequem zu geschäftlichen und privaten Terminen bringen soll. Vor einigen Wochen hatte ich mich zu einem Neukauf entschieden, was eigentlich keines weiteren Gedankens wert ist. Tja, eigentlich. Als ich nämlich kürzlich einer Bekannten von meiner Neuanschaffung erzählte, reagierte sie ziemlich erstaunt über meine Farbwahl. „Himbeere?“, fragte sie entgeistert. „Wie willst Du den in dieser typischen Mädchenfarbe denn wiederverkaufen?“ Wieso wiederverkaufen, war mein erster Gedanke. Ich habe mich doch gerade eben für den Kauf entschieden. Und in den nächsten Jahren steht dieses Thema bestimmt nicht mehr an.

Kluge oder langweilige Deutsche?

Wir Deutschen lieben Autos, Deutschland ist international als „Autoland“ bekannt. Immerhin wurde das Automobil hier erfunden, Carl Benz sei Dank für diesen fahrbaren Untersatz, der uns mobil und manche Fahrer sogar richtig glücklich macht. Egal ob Luxusschlitten, vernünftiges Familienmobil oder kleiner Flitzer: Sauber muss es sein, selbstverständlich stets technisch in Ordnung und außerdem ein Hingucker. So wollen wir unser Auto. Und obwohl aus meiner Sicht viele bunte Versionen aller Marken durch die Gegend fahren (das ist aber offenbar nur meine Sicht der Dinge), sind laut Statistik die farblichen Vorlieben seit Jahren die gleichen. Rund 80 Prozent der Käufer entscheiden sich für so genannte „unbunte Farben“ wie schwarz, grau, silber, seit einigen Jahren auch weiß. Ganz vorne stehen für etwa 30 Prozent der Autobesitzer seit den 90er Jahren graue und silberfarbene Kfzs. „Weil bei diesen Farben der Wiederverkaufswert höher ist“, erklärte meine Bekannte, mit einem, wie mir schien, tadelnden Gesichtsausdruck.

Die eigene Marke

So ein Mist, da kaufe ich mir ein Auto und verschwende keinen Gedanken daran, es eines fernen Tages an einen Nachbesitzer zu verhökern. Ich brauche jedoch kaum über die möglichen Gründe für meine so seltsam unlogische, unübliche und wahrscheinlich naive Entscheidung zu grübeln. Weshalb? Weil ich auf die Vorlieben der Deutschen in Sachen graue Maus-Auto pfeife. Selbstmarketing heißt das Zauberwort, ein Graue-Maus-Image hatte ich nie; das finde ich langweilig und reizlos.
Wir verhalten uns wie die Lemminge. Wir ahmen nach, was andere tun, übernehmen kritiklos das Verhalten unserer Mitmenschen. Wir kaufen, was alle kaufen. Dabei verzichten wir auf die Frage nach Unsinn oder Notwendigkeit. Um beim Beispiel des fahrbaren Untersatzes zu bleiben: Ich würde keinen Sonnenhut beim Motorradfahren tragen, auch wenn das meinem Geschmack des Stilmix entspräche. Das wäre unvernünftig, unklug und ist zudem gesetzlich verboten. Wer mir aber erzählt, meine Maschine (wenn ich denn eine besäße und überhaupt Motorrad fahren könnte) sollte ich unbedingt in einer bestimmten Farbe kaufen, damit ich sie später teurer wiederverkaufen könnte, der hat die Sache mit der eigenen Marke nicht verstanden.
Aktien kaufen und verkaufen, wenn alle es tun, Streifenpullis tragen, solange alle damit rumlaufen, den bequemen Gartenstuhl gegen hippe Loungemöbel für draußen tauschen, weil die auf allen anderen Balkons stehen… Lemminge tun das – und wir Menschen leider auch. Deshalb entscheiden wir uns beispielsweise für eine Autofarbe, von der andere behaupten, mit ihr lasse sich beim Verkauf ein besseres Geschäft erzielen.
Wie wäre es mit ein paar Gedanken, welche Farben (Modelle, Rocklängen, Absatzhöhen, Frisuren, Vornamen für den geplanten Nachwuchs …) mir wirklich gefallen? Die eigene Marke zu leben bedeutet, zu wissen, was man liebt und was nicht. Das gilt für den Stoff der Kleidung, die Wohnungseinrichtung oder die Lieblingsspeisen genauso wie für Sportarten, Urlaubsziele oder die Farbe des Autos. Klar ist allerdings, dass man im Falle einer eigenen Meinung und der entsprechenden Entscheidung auf den missbilligenden Blick der Lemminge gefasst sein sollte.

Meine aktuelle Schreibstimmung: Ein bisschen trotzig
Der Lippenstift: Nonkonformistisches Burgundy                      HKW_Website_ Icon Artikelende

 

 

Last modified: 21. September 2016

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