Es ist noch immer hochsommerlich heiß hier im Südwesten. Die drückende Schwüle lässt nichts anderes zu, als sich dem Sommer völlig zu ergeben. Meine letzten Urlaubstage verbringe ich in einer fast transzendenten Stimmung. Nach den Yogaübungen am frühen Morgen vermeide ich den restlichen Tag über jede unnötige Bewegung. Ich lese, höre den Vögeln zu, beobachte die Bienen am Lavendelstrauch. Rege sind nur meine Gedanken, doch selbst die befinden sich offenbar in Ferienstimmung, wie sich an den Themen zeigt, denen sie nachhängen. Fragmente, Thesen, Fragen.
Verspielt sein. Ein verspieltes Leben. Doppeldeutig: Verspieltes Leben als unsinniges, verlorenes, vergeudetes Leben oder im Sinne von verspielt leben, also das Leben spielend erleben und begreifen. Heißt das nicht vielmehr traumtänzerisch durchs Leben zu gehen, aus Angst, sich der Wirklichkeit zu stellen und in ihr kläglich zu versagen?
Verspielt bleiben, um nicht erwachsen werden zu müssen, obgleich dies längst geschehen ist. Ein trügerischer Schluss, denn nicht erwachsen zu sein ist nicht gleichbedeutend mit beschützt sein und damit frei von Verantwortung, unerreichbar für die Härte der Gesellschaft, für die Herausforderung, sich einen Platz zu erkämpfen, ihn zu verteidigen, sich permanent behaupten zu müssen.
Der verspielt lebende, der das innere Kind beschützende Künstler. Der wahre Künstler ist nicht an Materiellem, am Monetären interessiert. Wahrheit oder Schutzbehauptung?
Ist der bewusst Verspielte selbstbewusst, sich seines Tuns und seines Wertes bewusst? Findet er jemals zu seinem wahren Ich oder lenkt er sich lebenslang davon ab, verbirgt sich hinter wechselnden Rollen?
Kann sich nur der sozial und finanziell Abgesicherte erlauben, spielerisch durchs Leben zu gehen? Wo bleibt die gesellschaftliche Verpflichtung, sich einzubringen, etwas Substanzielles beizusteuern, Gutes zu tun, Verantwortung zu übernehmen?
Leben spielen. Das Gegenteil von spielend leben. Die einzige Rolle, die der Künstler ablehnen sollte, ja zwingend ablehnen muss, um sich selbst erkennen zu können. Diese Rolle verhindert wahres, tatsächliches und letztlich ehrliches Leben. Es schützt ihn nur scheinbar, wenn er sich dem Leben nicht mit „offenem Visier“ stellt.
Verspielt zu leben bedeutet also auf Kosten eines anderen zu leben? Kosten meint in diesem Fall finanzielle wie emotionale/psychische Kosten. Wie spielerisch kann ein solches Leben sein? Geht es hier um puren Egoismus?
Egoismus aus Feigheit, aus Angst, sich dem Leben selbst zu stellen? Egoismus, dort gelebt, wo die Angst am geringsten ist, am wenigsten zerstörerisch wirkt: in der Partnerschaft?
Ist verspielt zu leben lediglich ein Synonym, um Angst und Egoismus einen angenehmeren Klang zu verleihen? Ein Ablenkungsversuch sich selbst und anderen gegenüber?
Darf man verspielt sein? In welcher Weise darf man verspielt sein? Wann darf man verspielt sein? Darf man nur verspielt sein, wenn kein anderer Mensch anwesend ist?
Wer gibt das Maß vor, an dem sich der verspielt Lebende orientieren kann? Der extrovertierte Künstler, der introvertierte Tagträumer?
Kann man lernen, spielend durchs Leben zu gehen? Verspielt sein lernen ohne negative Gefühle. Als erwachsener Mensch verspielt zu sein und es genießen zu können. Sich freuen, diese Fähigkeit erhalten zu haben, die uns als Kind so selbstverständlich war.
Sich also erlauben, verspielt zu sein, selbst wenn das bedeutet, „anders“ zu sein, sich von der Norm zu unterscheiden. Und dieses anders sein akzeptieren zu können ohne Bedenken, nicht der Norm (was genau ist die Norm?) zu entsprechen.
Bedeutet spielend durchs Leben zu gehen folglich Unabhängigkeit? Ein großes Wort, das man sich ebenso erlauben sollte wie das verspielt, heiter, unbeschwert gelebte Leben.
Meine aktuelle Schreibstimmung: Pretty lazy
Der Lippenstift: „Tropic Tonic“ von Mac
Last modified: 21. September 2016