Achtung: Der folgende Text ist für coole Typen nicht geeignet! Er ist im Gegenteil absolut retro. Wie der Satz „Winterzeit ist Grippezeit“. Der ist zwar wahr, aber er passt nicht ins moderne Lifestylefeeling. Wenn ein Infekt einen auf die Couch zwingt mit laufender Nase, kratzendem Hals und erhöhter Körpertemperatur, ist es cool, einfach in die Lifestyle-Medikamentenbox zu greifen und die Erkältung in Nullkommanix wegzudrücken. Werbegurus zeigen uns, wie lässig das funktioniert.
Als zu Hause arbeitende Autorin verbringe ich die meiste Zeit genau dort: Im Haus, umgeben von trockener Heizungsluft. Folglich muss ich mein Immunsystem intakt halten, sonst fange ich mir bei den seltenen Ausflügen nach draußen schnell einen grippalen Infekt ein. Deshalb setze ich – ganz uncool, völlig retro – auf ein paar Vorsichtsmaßnahmen, die sich seit Jahren bewähren. Will heißen, meine ollen Hausmittelchen schützen mich zuverlässig vor einer Erkältung.
Der tägliche Spaziergang in frischer Luft: Fällt bei mir aus. Würde ich, wie etwa Joyce Carol Oates, darauf schwören, dass mich stundenlange Spaziergänge geistig beflügeln, fände man mich während der Winterwochen auf dem Marsch. Da ich jedoch bedauerlicherweise nicht durch London oder eine andere inspirierende Metropole spazieren kann, lasse ich die Laufschuhe im Schrank. Meine früheren Joggingrunden nahmen mir meine Gelenke übel, die fallen seit einiger Zeit ebenfalls aus.
Bleibt also der gute alte Rat, mehrmals täglich für reichlich frische Luft in den Räumen zu sorgen. Diese Lüftungsphasen nutze ich, um vor weit geöffneter Terrassentür eine Yogasession einzulegen. Bewegung plus Sauerstoff: Diesen Geheimtipp kannte schon meine Uroma.
In der Sauna schwitzen: Kann ich nicht leiden. Schweißnasse fremde Körper sind kein attraktiver Anblick für mich. Kann sein, das ist arrogant oder einfach dämlich. Meine Alternative ist die gute alte Wechseldusche. So heiß wie ich es gerade noch ertrage dusche ich lange und ausgiebig meine Rückenpartie, was auch meine Wirbelsäule und die Nackenmuskulatur freut. Danach halte ich mich schon mal am Griff der Dusche fest, denn auch wenn ich das eisig kalte Wasser erwarte, ist es jedes Mal ein kleiner Schock, wenn ich Arme und Beine damit abdusche. Hinterher fühle ich mich jedenfalls wie eine ganz Abgehärtete. Irgendwie doch cool …
Detox, Antitox, Pülverchen, Pillen, Kapseln oder Zäpfchen jedes denkbaren Herstellers: Lifestyler haben die Qual der Wahl. Die Auswahl an Verhütern und Killern grippaler Infekte ist gigantisch.
Ich verschmähe sie alle, widerstehe konsequent den Versprechungen der Werbespots. Kann sein, das ist ein Zeichen meiner jahrzehntelang sorgsam gepflegten postpubertären Phase. Ich mag jedenfalls weder grasgrüne Smoothies trinken, die schmecken als habe ich sie aus dem Auffangkorb des Rasenmähers hergestellt. Noch kann ich den angesagten Pilzdrink leiden, der so stark mit Kohlensäure versetzt ist, dass Blasen aus meinem Mund schlüpfen sobald ich ihn öffne.
Statt auf den Instant-Lifestyle-Schnickschnack, dessen Hersteller den eindeutigen Wirkungsnachweis schuldig bleiben, setze ich auf meine ganz persönliche morgendliche Portion Legal Doping. Die sieht zwar nicht besonders stylish aus, ist jedoch supereinfach zu mixen, schmeckt und unterstützt mein Immunsystem.
Legal Doping Drink by Heide Kuhn-Winkler:
Je 70 ml frische Milch, naturtrüben Apfelsaft und frisch gepressten Orangensaft mischen und gekühlt trinken. Mit meinem Legal Doping Drink nehme ich einen Großteil des täglich benötigten Vitamin C auf. Er schmeckt übrigens besonders gut, wenn man ihn unter der heißen Dusche trinkt.
Mein blauer Lippenstift ist kein Gesundheitsblog, weshalb ich darauf verzichte, auf die diversen Ansätze der Ernährungswissenschaft einzugehen. Milch ja oder nein, böser oder guter Orangensaft, Apfelsaft in oder out: Für jede Theorie finden sich Studien, die das Pro wie das Contra belegen. Meine Anmerkung dazu: Ja, ich trinke Milch, sogar Vollmilch. Shoot me! Frisch gepresster Orangensaft und naturtrüber Apfelsaft sind vielleicht Relikte aus Omas Zeiten. So what?
Den Härtetest erlebt mein Immunsystem in jedem Winter wieder, wenn ich auf Reisen gehe, im Hotel wohne und mit überfüllten U- und S-Bahnen fahre. Dann stellt sich die Frage, ob das aufgebaute Abwehrdepot ausreicht. Ich wage die Theorie, wonach dank meiner Retromethoden die Antwort seit Jahren glücklicherweise lautet: „Ja, alles cool, ich fühle mich gesund“.
Meine aktuelle Schreibstimmung: Der Winter kann kommen.
Der Lippenstift: „Backtalk“ von Urban Decay
Last modified: 23. November 2016