Ausnahmesituation

von Schreiben

Der Alltag verschlingt meine Zeit. Ich will aber schreiben. Ein unlösbares Problem?

Zeit zum Schreiben ist immer. Theoretisch. Wäsche, Hausarbeit, Erledigungen, Telefonate, aushäusige Termine lassen sich mit dem täglichen Schreibpensum vereinbaren. Meistens jedenfalls. Was aber, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert oder, wie derzeit bei mir, wenn die tägliche Schreibzeit dem Umzugschaos zum Opfer zu fallen droht?
Auf dem Schreibtisch bleibt kein Platz mehr für das Notebook, weil auf der Tischplatte dutzende Listen ausgebreitet liegen. Packlisten, Terminlisten, Mobiliarlisten, Sperrmülllisten, To-do-Listen… Das gilt aber nicht als Entschuldigung, denn schreiben kann man ja bekanntlich überall. Zum Beispiel am Abend im Bett. Oder frühmorgens am Küchentisch. Auch das theoretisch. Den Versuch, früh am Morgen zu schreiben habe ich vor Jahren aufgegeben. Mein Verstand schläft offenbar länger als ich. Will sagen, ich kriege keinen klaren Gedanken auf die Reihe, wenn ich aus dem Bett steige und mich sofort an die Arbeit mache. Der Kopf ist leer, der Intellekt im Standby-Modus. Und abends bin ich in diesen Tagen komplett erledigt, bin müde vom Planen, Packen, Telefonieren, neu Planen etc. etc. etc. Ich schlafe so tief wie selten, kann mich nicht aufraffen, mit dem Laptop auf den Knien im Bett zu kauern. Die Ergüsse dieser Schreibsessions müsste ich am nächsten Morgen vermutlich sowieso in die Tonne kloppen.

Zeit zum Schreiben ist also nicht immer. Zumindest nicht auf meine bevorzugte Weise. Wenn ich meine gesammelten, auf diversen Zetteln notierten Gedanken, Stichworte und Formulierungen eben nicht rund ums Notebook verteilen kann, um diese Schnipsel nach und nach abzuarbeiten. Kritiker und besonders gut organisierte Autoren finden diese Zettelwirtschaft ohnehin unpraktisch. Ecken von Servietten, aus Notizheften ausgerissene halbe Seiten und viele bunte Quadrate aus der Zettelbox gehören zu meinen Arbeitsmitteln, seit ich schreibe. Was sich über Jahrzehnte bewährte, werde ich beibehalten. Außer jetzt. In diesen Tagen. Zwischen Umzugskisten, abgebauten Möbeln und einer gefühlt minütlich wachsenden Unordnung.
Die Gefahrenlage ist klar: Inmitten dieser Unordnung könnten meine Notizen verloren gehen. Und nie wieder auftauchen, wie schon andere kleine Dinge bei früheren Umzügen, die wie von Geisterhand verschwanden und sich nie wieder einfanden. Der einfachste Weg wäre es natürlich, meine tägliche Schreibroutine zu unterbrechen und erst wieder am neuen Wohnort meine Zettelchen auszubreiten, um die begonnene Geschichte weiterzuerzählen und mich vorerst ganz auf den Umzug zu konzentrieren.

Nein, so wird es kaum funktionieren. Ich will schreiben, trotz Umzug. Was raten mir Autorencoaches? „Meistens kommen die besten Ideen, während man gerade mit anderen Dingen beschäftigt ist“, sagt Helen Power-Englert. Das stimmt zwar, aber wie lassen sich die Gedankenblitze festhalten? Auf ihrer Website fand ich einen Tipp, der banaler nicht sein könnte: Ein Schreibjournal führen. Eigentlich ist diese Erkenntnis kein weiteres Wort Wert. Denn erstens liebe ich Notizbücher, Hefte, Ringmappen seit Kindertagen. Ich besitze sie in jeder erdenklichen Ausführung.
Bisher benutzte ich sie allerdings nicht als Journal, um darin sämtliche Details zu einem Buchprojekt oder einer Geschichte zusammenzuführen. Was zweifellos sinnvoll und in meiner aktuellen Lage ideal wäre. Die Vorteile dieser naheliegenden Lösung liegen auf der Hand: Ich packe den Laptop weg, deponiere dafür Notizbuch und Stift griffbereit auf dem Küchenstich, der erst am Ende in den Möbelwagen wandern wird. Meine Ideen schreibe ich nicht mehr auf Papierschnipsel, sondern fixiere alle Einfälle im Journal. Auch kurze Pausen nutze ich, um an meiner Geschichte weiterzuarbeiten, um im Fluss zu bleiben. Ich schreibe sie auf den Journalseiten weiter und tippe sie später ab. Auf diese Weise minimiere ich mein schlechtes Gewissen und bin produktiv. So einfach ist es tatsächlich, vorausgesetzt man ist lernbereit. Bislang weigerte ich mich nämlich standhaft, auf mein Zettelallerlei zu verzichten. Das ist Teil meiner Kreativität. Manchmal bleibt mir jedoch keine Wahl als mich der Situation anzupassen. Ich will schreiben. Zeit zum Schreiben ist bekanntlich immer.

Meine aktuelle Schreibstimmung: Mal sehen, ob die Journalmethode sich am Ende sogar als sinnvoller erweisen wird als meine Papierschnipselsammlung.
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Last modified: 25. Januar 2018

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