Tausche Haus gegen Wohnung. Wenn es denn so einfach wäre.
Ehemalige Redaktionskolleginnen werden sich erinnern, wie ich auf ihre Frage „Hast du die Infomail von XYZ noch?“ mit roten Ohren an meinem Schreibtisch saß und den Kopf schüttelte. Ich bin eine Wegwerferin, ich entsorge kurz entschlossen alles, wovon ich denke es nie wieder zu brauchen. Das gilt im Job wie in meinem Zuhause. Überflüssiges kommt in die virtuelle oder reale Mülltonne. Selten bereue ich etwas weggeworfen oder gelöscht zu haben, von der peinlichen Aufgabe gelöschte Informationen wieder beschaffen zu müssen einmal abgesehen.
Es schien also eine meiner leichtesten Übungen zu sein, aus einem Haus in der Provinz in eine Stadtwohnung umzuziehen. Anstatt dem Nachbarn beim Rasenmähen zuzuschauen, würde ich viel häufiger aushäusig unterwegs sein. Theater, Kino, Jazzclub, Kneipen, U- und S-Bahn in Laufnähe würden die deutlich reduzierten Quadratmeter wettmachen. Dafür müsste der Hausrat ausgedünnt, Verzichtbares in den Müll oder verschenkt werden. Was kein Problem sein würde, schließlich bin ich eine überzeugte Wegwerferin. Andererseits – jetzt wird es kompliziert – bin ich auch Sammlerin. So kurz entschlossen ich Dinge entsorge, so beharrlich hüte ich meine zusammengetragenen „Schätze“, die da sind: Knöpfe, Bären, Igel, Parfumflakons, Handtaschen (welche Frau sammelt die nicht?), Lippenstifte, Notizbücher, Schreibstifte und Bücher.
Beim Blick auf diese Liste muss ich zugeben, ich horte eine beachtliche Anzahl schöner, aber definitiv nicht lebenswichtiger Dinge. Ich hätte es folglich kommen sehen können, dass der Umzug Schwierigkeiten mit sich bringen würde, auch wenn wir die Einrichtung auf Millimeterpapier geplant und uns von etlichen Möbelstücken getrennt hatten. Mit reichlich Fantasie meinerseits und einigem Murren partnerseits war schließlich der Großteil der Umzugskisten ausgepackt und in unserer Stadtbehausung verstaut. Die Wohnung sieht inzwischen gemütlich und (noch) nicht überfüllt aus.
Einiges aus meiner Sammlung wartet jedoch nach wie vor darauf, am neuen Ort glänzen zu dürfen. Will heißen, es stehen noch immer volle Kisten in der Ecke, die in einer Kommode Platz finden sollten, die wir bestellt hatten. Diese Kommode wurde vor ein paar Tagen geliefert. Ich hatte sie fast vergessen, die Kartons sind schon Teil der Einrichtung geworden. Glücklicherweise hatte ich keinen Montageservice beauftragt, wir wollten die Kommode selbst aufbauen. Was eigentlich kein Problem wäre, wenn es in unserem kleinen Stadtdomizil einen Platz für sie gäbe. Mein Partner schmunzelte, ich schmollte. Offenbar war Wunsch nach mehr Stauraum mein Einkaufsberater gewesen. Dieses Möbelstück passte auf keinen Fall in die Wohnung. Es fehlt schlicht an einer Wand, vor der sie stehen könnte. Jetzt lungert sie unausgepackt im Flur rum und grinst mich aus ihrem Karton spöttisch an, während ich hoffe, eine weitere Wand möge wie von Geisterhand wachsen.
Doch das passiert leider nur in Filmen und Büchern wie The Winchester Mystery House. Und zur Tiny House Bewegung passe ich offensichtlich auch nicht. Um in diesen Minihäusern und Puppenhaus kleinen Wohnungen leben zu können, müsste ich mich von vielem trennen, an dem ich stärker hänge als gedacht. Das Bekenntnis ich sei eine Wegwerferin, trifft folglich nur bedingt zu. Selbst wenn ich sämtliche Sammlungen weggebe, bleibt immer noch genügend Zeug, das ich als unverzichtbar für mein Dasein erachte. Weshalb gelingt mir nicht, was andere schaffen? Eine Freundin verkleinerte ihren Wohnraum bei ihrem letzten Umzug drastisch und nennt das ihre Katharsis. Die Journalistin Meike Winnemuth zog aus luxuriösen zweihundert Quadratmetern in eine schmale Einzimmerwohnung mit achtunddreißig Quadratmetern. Die Schriftstellerin Milena Moser verließ ihre Schweizer Triplex, um in den USA in einem Minihaus auf gerade mal fünfzig Quadratmetern zu leben und arbeiten. Dafür verschenkte sie unter anderem mehr als neunzig Supermarkttüten voller Bücher. Chapeau, Milena. Ich weiß, sie hing an ihrer Bibliothek genauso wie ich an meiner.
Es bleibt mir wohl keine Wahl, ich muss die Liste meiner Sammlungen unter die Lupe nehmen. Was kann ich aufgeben, was hat sich überlebt, was sammle ich nicht mehr mit der gleichen Leidenschaft wie früher? Keine Frage, es wird ein schmerzvoller Prozess mit ungewissem Ergebnis. Vielleicht sollte ich mit der Knopfkollektion beginnen. Die wegzugeben tut vermutlich am wenigsten weh. Sie nimmt andererseits kaum Platz weg. Dann doch lieber die Bücher ausmisten? Die Taschen? Meine Bären und Igel? Ich vertage die Entscheidung, suche stattdessen erst mal einen Interessenten für die Kommode ohne Chance auf eine Stellwand.
Meine aktuelle Schreibstimmung: Sieht ganz danach aus, als ob einige Umzugskisten nie wieder ausgepackt werden.
Der Lippenstift: „Blush Basin“ von Burt’s Bees
Last modified: 22. März 2018