Jenny Lawson: Irre glücklich
„Mir reicht’s. Ich werde irre glücklich sein. Aus reiner Bosheit.“ Mit dieser Kampfansage wendet sich Jenny Lawson an ihren Dämon, ihre Depression und Angstzustände. In ihrem neuen Buch zeigt sich die texanische Journalistin, Autorin und Bloggerin gewohnt offen und exzentrisch im Umgang mit ihren psychischen Erkrankungen, die sie seit Jugendzeit beschäftigen.
Die Autorin legt keinen Ratgeber im klassischen Sinne vor, sondern „eine Sammlung schräger Essays und Gespräche sowie einiger konfuser Gedanken“. Kennt man Jenny Lawson, hat man auch keineswegs eines der üblichen Ratgeber-Sachbücher erwartet. Statt Tipps und Rezepte zum besser leben gestattet sie einen tiefen Blick in ihre Psyche. „Die Depression hat etwas an sich, das es uns ermöglicht (und mitunter auch zwingt), eine emotionale Tiefe zu erleben, die die meisten „normalen“ Menschen nicht einmal ansatzweise erleben“, sagt sie. Während der Phasen, in denen sich ihre Depression zurückzieht, stellt sie sich ihren Alltagssituationen mit bisweilen schräg wirkenden Aktionen. Wenn sie etwa nachts nicht schlafen kann, veranstaltet sie schon mal einen Katzenrodeo, indem sie Rory, einen ausgestopften Waschbären, ihrer Katze Hunter S. Thomcat auf den Rücken setzt und sie im Galopp durch die Wohnung rennen lässt.
Überhaupt Rory: Lawson erlaubt es sich, einen präparierten Waschbären zu ihrem ständigen Begleiter zu ernennen. Die Feststellung, wonach das Tier auf natürlichem Weg zu Tode gekommen sei, ist ihr ebenso wichtig wie die Erklärung, dass ihr Vater, ein professioneller Tierpräparator, Rory liebevoll hergerichtet hat. Mit weit ausgestreckten Beinen und lachendem Gesicht soll das Pelztier Optimismus verbreiten. Oder zumindest als enger Freund an ihrer Seite sein, im Bett wie auf Reisen.
„Dieser Waschbär ist verdammt noch mal mein Vorbild. Er ist der schlechteste und der beste Schutzpatron, den man nur haben kann. Und ich möchte genauso werden wie er, wenn ich mal groß bin.“ Sätze wie diese sind Programm in diesem autobiografischen Werk der Autorin. Sie erscheinen abgedreht, regen aber dennoch oder gerade deshalb zum Nachdenken an. Nicht Klamauk, sondern künstlerische Freiheit ist es, die Lawson dem Leser anbietet. Die Freiheit, der Depression die Zunge rauszustrecken, ihr einen Vogel zu zeigen. Wie geht das? Lawsons Rezept ist, wie alles bei dieser Schreiberin, ungewöhnlich. Wann immer sie die traurigen Gedanken überfallen und niederstrecken denkt sie an ihre Aktionen, bei denen sie sich „irre glücklich“ fühlte.
Hier setzt die Hilfe für Betroffene dieser Erkrankung an oder, wie die Autorin es ausdrückt: „Ein unfassbares Überlebenstraining für depressive Zeiten“. Lawson stellt sich in traurigen Phasen ihre verrückten Aktionen vor und schöpft Mut aus der Erfahrung, dass sie immer wieder aus der Depression heraus und in ihr Leben zurückfand. Es sind die Erinnerungen an lustige, kreative, besondere Momente, die sie vor der übergroßen Verzweiflung, vor dem Suizid bewahren. Als sie beispielsweise die Idee entwickelte, in Australien einen Koalabären knuddeln zu wollen, während sie selbst in einem Koalakostüm steckte. Oder auf einem Friedhof spazieren ging und dabei auf einer „Überraschungsbeerdigung“ landete. Für Menschen, die ausschließlich durch eine rationale Brille zu sehen vermögen, sind es Kapriolen. Ihre nicht alltägliche Denkweise ist jedoch vielmehr überlebenswichtig für die Autorin.
Irre glücklich, Jenny Lawson, Kailash Verlag
Nach der Lektüre
Jenny Lawson begegnet ihrer Depression wie einer guten alten Bekannten. Einer Bekannten, die sie allerdings immer wieder in die Knie oder, besser ausgedrückt, ins Bett zwingt und es dann tagelang nicht verlassen lässt. Während dieser Zeit labt sie sich an ihren Erinnerungen, lotst ihre Gedanken weg von der Traurigkeit, hin zu ihren Erlebnissen. Ermunterungsversuche ihrer Umgebung wie „Sei mal fröhlich“, „Reiß dich zusammen“ oder „Warum bist du traurig, du hast doch alles“ kennt sie aus eigener leidvoller Erfahrung. An diesen Stellen wird Irre glücklich von der unterhaltsamen Lektüre doch zum Ratgeber. Denn diese leicht dahin gesagten, sinnlosen Sätze „normaler“ will sagen psychisch gesunder Mitmenschen sind Depressiven bestens bekannt.
Lawsons Ansatz ist verlockend, auch wenn sie ihren Lesern sagt: „Meine Depression ist nicht ihre Depression“. Denn sie weiß, so verschieden die Ausprägung dieser Erkrankung ist, so unterschiedlich gehen Betroffene damit um. Sie schreiben sich zwar nicht unbedingt Mantras auf die Unterarme oder schließen ein ausgestopftes Tier als Freund in ihr Herz. Ein gut gefülltes Reservoir aus positiven Erlebnissen kann in traurigen Phasen aber von entscheidender Hilfe sein. „Wenn alles gerade gut läuft, dieses alles nehmen und unvergesslich machen“, nennt es die Autorin. Es geht ihr um den Unterschied zwischen „das Leben überleben“ und „unser Leben leben“.
Ich halte es für befreiend, dass Prominente heute offen über den Umgang mit der Depression sprechen. Robbie Williams, Bruce Springsteen, die Comedian Jacqueline Novak oder Jenny Lawson beschreiben den Drahtseilakt, den die kranke Psyche zu leisten hat. In depressionsfreien Phasen halten sie Vorträge und geben den Clown, oder sie treten in Stadien vor tausenden Musikfans auf, um in Zeiten, wenn die Traurigkeit wieder die Führung einfordert, wochen-, manchmal monatelang das Haus, oft nicht einmal das Bett zu verlassen. Bitte mehr von diesen ehrlichen und gleichzeitig unterhaltsamen Geständnissen, die uns anderen Mut machen, sich den eigenen Dämonen zu stellen.
Last modified: 14. Dezember 2016