HKW schreibt Realistisches, Fiktives – und Verrücktes.
Sollte auch nur ein Mensch mein folgendes Geständnis verstehen, würde mich dies sehr wundern: Ich liebe Donnerstage. Aus Freitagen mache ich mir nicht viel, auf Montage könnte ich, wie viele andere Zeitgenossen, verzichten, und selbst Sonntage verleiten mich selten zum Jubilieren. Nein, es bleibt dabei: Ich bin ein Donnerstagsmensch.
Logisch erklären lässt sich diese Liebe kaum. Der vierte Tag der Woche zählt nicht zum Wochenende, er markiert die Wochenmitte. Dieser Tag fühlt sich an, als wohnte ich in einer Bonbonschachtel, ausgeschlagen mit Seidenpapier in Pastelltönen. An Donnerstagen erwache ich mit der Erwartung, am Frühstückstisch ein süßes, bunt verziertes Törtchen vorzufinden. Ob Psychologen mein Donnerstagssyndrom deuten können, weiß ich nicht. Wenn es sich um eine Krankheit handeln sollte, dann leide ich mutmaßlich an einer Form von Donnerstagsitis. Sie ist unheilbar, erhöht jedoch zumindest bei mir die Lebensqualität. Befragte man mich zu den Symptomen, wäre da zunächst die morgendliche Euphorie, die ich meine Törtchenvorfreude nenne. Dann ist da noch die Leichtigkeit zu beobachten, mit der ich die Beine aus dem Bett schwinge, sobald mir bewusst wird, welchen Tag wir haben. Der erste Gedanke gilt erstaunlicherweise nicht dem Wetter, sondern der Frage, welche Sorte Brötchen ich zum Frühstück essen möchte. Mancher Donnerstag beginnt gar mir der Lust auf ein ofenfrisches Croissant. Psychotherapeuten werten das vermutlich als ausgeprägtes Krankheitszeichen. Was auch auf mein Interesse, das Kinoprogramm zu studieren und umgehend eine Karte zu reservieren, zutreffen dürfte. Ach, dann ist da noch mein als ausgesprochen untypisch zu wertender Blick in den Kleiderschrank zu nennen. Und nur mit meiner Donnerstagsitis ist zu erklären, dass ich statt zu Jeans und Lederjacke (meiner Signature-Kluft) zu Wollkleid, Perlenkette und Animalprint Fakefur greife.
Weitere Symptome gefällig, um die Diagnose zu bestätigen? Ich will unbedingt auswärts zu Abend essen. Mein Lippenstift ist von leuchtendem Kirschrot. Obwohl ich mir vorgenommen hatte, auf die Veröffentlichung der Taschenbuchausgabe zu warten, bestelle ich das teuere gebundene Buch. Ich schmiede Pläne für Reisen, die ich allerdings nicht sofort buche, was den differenzialdignostischen Ausschluss einer Manie erleichtert.
Zugegeben, um den chronischen Verlauf zu verhindern hätte ich vor Jahren schon therapeutische Hilfe suchen sollen. Doch dafür fühle ich mich an Donnerstagen zu wohl. Ich genieße diese Mischung aus gespannter Erwartung und guter Laune einfach zu sehr. Schätzungsweise würde man mich in die Kategorie „gutartige Verrückte“ einordnen. Es wird auch künftig keine Krankenakte über meine Donnerstagsitis angelegt werden. Wobei, wenn ich es mir genau überlege, mir vielleicht eine Patientenkarriere in der Wissenschaft winken würde.
Heute ist der fünfte Tag der Woche, Freitag. Ich bin wieder raus aus der Bonbonschachtel und mittendrin im Berliner Alltag. Morgen beginnt das Wochenende, die Törtchentage für den Rest der Bevölkerung. Ich dagegen muss nur noch sechs Tage bis zum nächsten Donnerstag warten.
Last modified: 13. Dezember 2019