Der Körper sitzt zuhause auf dem Sofa. Die Gedanken sind Tausende Kilometer entfernt.
Gestern schrieb eine Freundin, sie leide seit Tagen „ganz schlimm unter Fernheimweh“. Der Begriff mag seltsam klingen, doch ich weiß genau, was sie meint. Mir geht es nämlich ebenso. Ich sitze zuhause in Berlin und fühle Heimweh nach einem Ort in weiter Ferne.
Um es vorwegzusagen: Wie alle Menschen, habe ich eine Meinung zur aktuellen Viruskrisensituation. Die spielt hier jedoch keine Rolle. Es geht nicht um Informationen, Warnungen oder Verbote rund ums Reisen, sondern um ein Gefühl, das vermutlich viele Menschen kennen. Dieses Gefühl sucht uns ohne jede Vorwarnung heim und nimmt bisweilen heftige Ausmaße an. Fernheimweh bedeutet für mich, einen Ort gefunden zu haben, an dem ich schon bei der Ankunft spüre, ich bin daheim. Das passiert nicht oft. Logisch erklären lässt es sich kaum, doch es gibt Orte, an denen ich ankomme und sofort weiß, ich mag sie nicht. Und dann gibt es Orte wie Santa Fe, an dem ich vom ersten Moment an zuhause war, wo sich nicht eine Sekunde der Gedanke einstellte, ich sei eine Fremde.
Diese Stadt ist seit meiner Abreise mein Sehnsuchtsort, nach dem ich Fernheimweh habe. Begriffen wie „magisch“ bediene ich mich höchst selten. Doch was kann es anderes sein, wenn sich das raue New Mexico mit seinen Adobehäusern und dem Mix aus indianischer, spanischer und mexikanischer Kultur, mit dem hohen tiefblauen Himmel, der dünnen Höhenluft und dem strengen Wind wie ein Zuhause anfühlt? Natürlich spielen vor allem die Menschen eine Rolle. Dermaßen offen, freundlich und hilfsbereit bin ich selten anderswo empfangen und behandelt worden. So etwa am ersten Tag nach meiner Ankunft, als ich „verloren ging“. Ich hatte mich zu Fuß (ja, das geht auch in den USA) auf den Weg zur Plaza gemacht, aber, anstatt mir den Weg zu merken, lief ich Haken schlagend wie ein Hase zurück, um möglichst viele Straßen zu sehen. Seitdem weiß ich, mit meiner Orientierungsfähigkeit ist es nicht weit her. Ich hatte mich verlaufen und fand mich nach langem Herumirren auf einer Ortsumgehungsstraße wider. Das Mobiltelefon lag im B&B. Also stellte ich mich an den Straßenrand und hob den Daumen. Es dauerte keine zwei Minuten, da hielt ein Wagen. Am Steuer saß ein netter Herr mittleren Alters. Ich erkundigte mich nach dem Weg, doch er bestand darauf mich die drei Meilen zu meinem B&B zu bringen. Dort nahm man mir das Versprechen ab, nicht mehr ohne Straßenkarte und Mobile aus dem Haus zu gehen. Eine freundlichere, fast schon fürsorgliche erste Begegnung an einem fremden Ort kann ich mir kaum vorstellen. Ich war keine Urlauberin, ich war daheim.
Wenn ich jetzt vom Fernheimweh nach Santa Fe geplagt werde und darüber nachdenke, wann ich wieder dorthin zurückkehren kann, fühlt es sich völlig anders an als bei meinem imaginären Road Trip. Der Ort und die Gegend, von der ich tagträume, sind mir so vertraut wie Berlin. Ich nenne es mein home number 2.
Last modified: 11. März 2020