Eine alte Notiz fällt mir in die Hände. Ein Fund zum passenden Zeitpunkt.
Nie zuvor erlebte ich einen derart entspannten Advent wie in diesem Jahr. Genauso hatte ich es mir vorgestellt: Viel Zeit zum Schreiben und Lesen, keinen Gedanken an Geschenke verschwenden. Die Wohnung unterscheidet sich denn auch von allen Wohnungen, in denen ich bislang zur Weihnachtszeit gelebt habe. Ich mag das Gefühl, mich erstmals dem üblichen Dekorationsritual zu entziehen. Auf den Tischen stehen in Vasen verteilt Tannenzweige, an denen keine einzige Kugel baumelt. Daneben Gefäße mit roten Rosen als Kontrast. Anstelle des üblichen Adventskranzes haben wir vier dicke cremeweiße Kerzen auf einem Porzellanteller arrangiert. Überhaupt Kerzen. Die platziere ich in jedem Herbst auf Fensterbänken, Kommoden, Teewagen. Komplettiert wird die Light Version der vorweihnachtlichen Atmosphäre von einem Bund Mistelzweige, den uns die Wirtin unseres chinesischen Stammlokals zum 1.Advent geschenkt hatte. Mit roter Schleife gebunden, hängen die Misteln nun also von der Lampe über dem Esstisch.
Das unerwartete Geschenk freut mich besonders, weil es den reduzierten Schmuck winterlich, aber nicht nach Advent aussehen lässt. Unerwartet fand ich auch – jetzt schweife ich ab, Pardon! – gestern einen Notizzettel, der zufällig zum scheinbar richtigen Zeitpunkt auftauchte. So sehr wir Berlin lieben, beginnen wir darüber nachzudenken, die Stadt wieder zu verlassen. Sie verändert sich permanent, aber leider für uns als Bewohner zum Nachteil. Sie wird zunehmend voller, lauter, hektischer und damit all das, was Berlin bislang nicht in diesem Ausmaß war. Der Senat hat offenbar keinen Entwicklungsplan. Man vergleicht sich mit London, Paris und New York, wobei übersehen wird, dass Berlin sich aufgrund seiner Geschichte von diesen Metropolen unterscheidet. Berlin ist eine Ansammlung von Dörfern. So soll es nach Meinung vieler Bürger auch bleiben. Was genau will aber die Regierung? Eine umweltfreundliche Stadt, am besten autofrei. Auf der anderen Seite bemühte sich eine Grüne Senatorin kürzlich (vergeblich) darum, die IAA von Frankfurt zur Messe Berlin zu locken. Eine grüne Autostadt? Die Mieten steigen ins Unermessliche, kaum mehr bezahlbar von Menschen, die schon ihr Leben lang hier wohnen. Ein teurer, chicer Touristenmagnet, der es jedoch nicht einmal schafft, einen Flughafen… Ich muss dieses Thema nicht zu Ende ausführen, die Welt lacht sowieso über diese Steuergeld verschlingende Posse. Apropos Flughafen: Während die genannten internationalen Metropolen über mehrere Airports verfügen, will der Berliner Senat den Flughafen Tegel umgehend schließen, nachdem die Dauerbaustelle BBI dereinst (neuester Termin Oktober 2020) mit mehr als einem Jahrzehnt Verspätung eröffnet werden soll. An dessen Stelle plant man einen Technologiepark. Berlin wird also obendrein zur begehrten Technikstadt, die, so die Tagträume der Senatoren, diverse Unternehmen an den Standort ziehen soll. Womit Berlin letztlich und lange ersehnt auch noch zur Industriestadt, vielleicht sogar DEM Industriestandort Deutschlands avancieren könnte. Und letztlich doch nur eine sympathische Ansammlung vieler Dörfer bleiben dürfte, dass dann allerdings komplett Eigentum von Investoren ist.
Kurz gesagt: Wir denken darüber nach, wegzuziehen. Doch wohin? An dieser Stelle kommt besagter Zettel ins Spiel, den ich gestern in einem Buch fand, das ich sehr lange nicht aufgeschlagen hatte. Auf dem Zettel sind drei Worte notiert: Ein Ort (der hier, ebenso wie der Buchtitel, keine Rolle spielen soll) und darunter „The decision“. Die Entscheidung? Handelt es sich um einen puren Zufall, was Realisten wohl als einzige Erklärung gelten ließen? Oder musste ich diese Notizen zu einem Zeitpunkt finden, da ich mit den Gedanken an eine Veränderung spiele? Ich neige dazu, die zweite Möglichkeit in Betracht zu ziehen und es mit den Druiden zu halten, die die Mistel als magische Pflanze verehrten.
Last modified: 18. Dezember 2019