Als besserer Mensch aus der Krise kommen? Wohl eher ein Traum denn Realität.
Erst gestern las ich den Beitrag einer Bloggerin, die sich aufgrund von Coronakrise und Quarantäne als geläutert bezeichnet. In den vergangenen Wochen kam ich stets ins Grübeln, wenn ich solche Artikel las. Ist es tatsächlich möglich, ein besserer Mensch zu werden, wenn man das Virus nur aufgrund der Beschränkungen und – glücklicherweise! – nicht durch Krankheit oder einen Todesfall im engsten Umfeld erfahren hat? Mein Selbstcheck bezüglich Geduld, Disziplin und Demut fällt denn erwartungsgemäß ziemlich bescheiden aus. Da bleibt noch jede Menge Luft nach oben. Die traurige Wahrheit: So sehr ich mir diese „Selbstoptimierung“ wünsche, ist sie doch nur ein Traum.
Die Gesellschaft habe keine anderen Mittel als ihre eigenen Routinen und Strukturen, auf Herausforderungen wie die Coronapandemie zu reagieren, erklärt Prof. Dr. Armin Nassehi. Demnach folgen wir in Ausnahmesituationen unseren erlernten Mustern. Wir können die Krise nur mit „bordeigenen Mitteln“ verarbeiten, so der Soziologe: „Die Leute tun, was sie immer tun“.
Auf mich trifft diese Aussage auf jeden Fall zu. Ich habe mich am Montagmorgen tierisch gefreut, am Telefon die Stimme meiner Friseurin zu hören, um einen Termin mit ihr zu vereinbaren. Und seit ich vor zwei Tagen hörte, unser zögerlicher, wenig entscheidungsfreudiger Regierender Bürgermeister plane die Gastronomie in der kommenden Woche zu öffnen, denke ich darüber nach, wohin wir zuerst gehen sollen. Es fühlt sich an, als käme man nach einer langen Reise endlich nach Hause. Zumindest diese Erkenntnis bleibt: Ich lebe in Berlin, weil ich die Stadt mit all ihren Herausforderungen brauche. Auf einer einsamen Insel hielte ich es allenfalls für die Dauer eines Urlaubs aus.
Last modified: 6. Mai 2020