Wann ist man eine Künstlerin?
Vergangene Woche auf einer Vernissage: Es waren erst wenige der geladenen Gäste anwesend, man konnte neben den Gemälden noch die Leute betrachten, die die Galerie betraten. Eine kleine Frau in Plüschmantel, mit Hütchen auf dem Kopf und Minihund auf dem Arm, sprach mich an. Wir kennen uns doch irgendwo her, sagte sie. Ich bedauerte. Nein, sie müsse mich verwechseln. Wir machten uns bekannt und so erfuhr ich, sie sei Künstlerin. Nach ein paar Sätzen Small Talk verabschiedeten wir uns voneinander und zogen getrennt weiter durch die Ausstellung.
Diese nette kleine Begegnung hallte in meinem Kopf nach. Sie hatte sich als Künstlerin bezeichnet, ohne allerdings auszuführen, worin ihre Kunst bestand. Was auch immer sie tun mag, sie versteht es als Kunst. Tatsächlich gibt es kein Gesetz, das vorschreibt, wer sich Künstler nennen darf. Der Begriff „Künstler“ ist ungeschützt, er kann von jedem beansprucht werden, der sich als ebensolcher wahrnimmt. Als ich Tante Google fragte, fand ich auch keine gültige Auskunft, wo die Grenze vom Nichtkünstler zum Künstler verläuft. Aber ich stieß auf ein Gedicht von Susan Ariel Rainbow Kennedy (SARK). Einige Punkte darin lassen mich schließen, ich sei unbedingt eine Künstlerin.
„Wie man ein Künstler wird“ (Originaltitel „How to be an Artist“)
Lass dich fallen. Lerne, Schnecken zu beobachten. Pflanze unmögliche Gärten. Lade jemand Gefährlichen zum Tee ein. Mache kleine Zeichen, die „Ja“ sagen, und verteile sie überall in deinem Haus. Werde ein Freund von Freiheit und Unsicherheit. Freue dich auf Träume. Weine bei Kinofilmen. Schaukle, so hoch du kannst, mit einer Schaukel bei Mondlicht. Pflege verschiedene Stimmungen. Verweigere dich, „verantwortlich“ zu sein. Tue es aus Liebe. Mache eine Menge Nickerchen. Gib weiter Geld aus. Mache es jetzt. Das Geld wird folgen. Glaube an Zauberei. Lache eine Menge. Bade im Mondlicht. Träume wilde, fantastische Träume. Zeichne auf die Wände. Lies jeden Tag. Stell dir vor, du wärst verzaubert. Kichere mit Kindern. Höre alten Leuten zu. Öffne dich. Tauche ein. Sei frei. Preise dich selbst. Lass die Angst fallen. Spiele mit allem. Unterhalte das Kind in dir. Du bist unschuldig. Baue eine Burg aus Decken. Werde nass. Umarme Bäume. Schreibe Liebesbriefe. …und tanze, so viel du kannst!
Last modified: 1. März 2020