Neid ist eine menschliche, aber unsympathische Eigenschaft.
Ein älteres Paar betritt den Klostergarten. Beide tragen Trekkingschuhe, Westernhut und einen Rucksack auf dem Rücken. Es sind Wanderer, die in den Bergen rund um das Convent unterwegs sind. Sie nehmen ihre Sonnenbrillen ab und grüßen uns, lächeln uns an. Wir nutzen die Mittagspause, um die Nase trotz kalten Windes in die Sonne zu strecken. Den Gruß des Paares erwidern wir ebenfalls mit einem Lächeln, was den Herrn zu der Frage ermuntert, weshalb wir hier im Retreatcenter sind. Als wir antworten, wir nehmen an einem Autorenworkshop teil, wird sein Lachen noch breiter. „Oh, that’s great, I’m a writer, too“, sagt er.
Nicht nur dieses eine Mal werde ich während dieser Reise gefragt, was ich tue. Ich kenne das von meinen Reisen durch die USA seit Langem. Die Menschen wollen wissen, wen sie vor sich haben. Auch die Deutschen interessieren sich dafür, wobei der große Unterschied in ihrer Reaktion auf die Information besteht, man sei Autorin. In diesem Moment ist es deutlich zu erkennen: Wir Deutschen sind neidisch. Niemals lautet die – erfreute – Antwort „Das ist ja interessant, ich schreibe auch“. Stattdessen sollte man auf die sich unweigerlich anschließende Frage gefasst sein, für welchen Verlag man denn tätig sei, zu welchem Thema man schreibe und wann man das nächste Buch veröffentliche. Ist der Verlag ein eher unbekannter, das Genre wenig exklusiv, fällt die Reaktion nonverbal aus. Die Miene des Fragenden liegt irgendwo auf der Skala zwischen mildem Mitleid und ausgewachsener Arroganz. Sich nach dem Einkommen zu erkundigen, empfinden die allermeisten als unschicklich. Im Ansehen steigt man als Autorin allerdings augenblicklich, wenn man andeutet, dass am Ende des Monats ein Honorar oder besser noch ein festes Gehalt aufs Konto fließt. Dann, und erst dann darf man auf Absolution hoffen. Allein die Auskunft, man schreibe oder man sei Autorin reicht allenfalls für müdes Lächeln.
Hinter diesem Lächeln verbergen die Deutschen ihren Neid. Die einen dezent, die anderen unmissverständlich. Ein künstlerischer Beruf gilt als suspekt, bringt er doch meist weder die Sicherheit noch die finanziellen Mittel eines Brotberufs ein. Womöglich muss der Staat für diesen Schreiberling aufkommen, liest man im Gesicht des Gegenübers, beeilt man sich nicht, die entlastenden Informationen nachzuschieben, sobald man sich als ein solcher outet.
Bei aller Kritik an den US-Amerikanern, liebe ich sie für ihre Großzügigkeit, für die Fähigkeit, zu akzeptieren was andere tun, sich mit ihnen gar zu freuen, anstatt unverhohlen neidisch zu reagieren. Künstler zu sein ist für sie normal, selbst wenn man nebenbei einen Brotberuf ausübt. Kein Neid, kein spöttisches Grinsen, kein Schubladendenken. Lange dachte ich in den Wochen nach dem Autorencamp darüber nach, wie ich künftig reagiere, wenn sich jemand nach meiner Tätigkeit erkundigt. Ich bin Autorin, werde ich sagen. Über Thema, Verlag und Veröffentlichungsdatum darf ich jedoch unglücklicherweise zu diesem Zeitpunkt noch nicht reden. Noch Fragen?
Last modified: 22. Dezember 2019